Trinitatis (Jesaja 6,1-13)
»Wenn der Heilige erscheint« Der dreimal heilige Herr erscheint Jesaja im Tempel, spricht zu ihm und sendet ihn zur Urteilsverkündung. Es ist ein atemberaubender Anblick. Der Auftrag Gottes ist erschreckend. Aus der Vernichtung kann man nicht aus eigenen Kräften neu erstehen, allein dadurch, dass der Herr jemand zum prophetischen Dienst befähigt. Und da ist noch das Volk Juda am Ende des 8. Jahrhunderts vor Christus, und dieses Volk ist reif für das Gericht. Ein paar Jahre nach der Vernichtung des Nordreiches Israel (721 vor Christus) schwebt über dem Südreich die Gefahr der Ausrottung und der Vertreibung, »denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, so dass das Land sehr verlassen sein wird« (Vers 12). Es mag sein, dass wir uns mit dem am Rande des Untergangs balancierenden Juda nicht identifizieren wollen, doch die Ehrung der Götter Assurs erinnert uns an heutiges, synkretistisches (religionsvermischendes) Denken. Das Hinaufstreben der Reichen erinnert uns an die wirtschaftliche Polarisierung der heutigen Welt. Auch das Bild der damaligen korrumpierten Richter erinnert an heutige Korruption. Aber vor allem: die damalige Schizophrenie zwischen dem Kult und dem alltäglichen Leben erinnert uns an die Situation der heutigen Christenheit. In der Beschreibung der Sendung Jesajas finden wir die Darstellung von drei Beziehungen. Diese können nicht jede für sich verstanden werden, sondern werden erst dann verständlich, wenn wir sie in Beziehung zueinander betrachten. Wenn wir unseren Predigttext als eine Beziehungsgeschichte verstehen, so denken wir über folgendes nach: I Der Herr und sein Volk II Der Herr und sein Prophet III Der Prophet und sein Volk
I
Der Herr ist heilig, das Volk Judas ist ein sündiges Volk. Zum innersten Wesen Gottes gehört seine Heiligkeit. Er ist der Abgesonderte, der Erhabenste, der Herr, der König. Beide Testamente sprechen mehrmals auch über die Heiligkeit des Volkes Israels und über die Heiligkeit der Gemeinde. Der dreimal-heilige Herr, Gott in seiner vollkommenen Heiligkeit, der unabhängige, unantastbare Herr ist der einzige und der einzig wahre Herr der himmlischen Heerscharen. Die Seraphim um seinen Thron proklamieren ihn dreimal als heilig, aber das ist noch keine Offenbarung der Trinität im Sinne des Neuen Testaments, denn solches wäre dem hebräischen Denken völlig gegensätzlich. Aber die Wendung »Wer will unser Bote sein?« (Vers 8) deutet darauf hin, dass der Herr der Eine ist, aber er ist nicht einsam (Karl Barth: unus, aber nicht solitarius, zu Gen. 1, 26). Das Problem in unserer Zeit ist nicht so sehr, dass wir heute nicht mehr die Erfahrung von Sehen und Hören (visio et auditio) haben, sondern vielmehr, dass wir unsere Fähigkeit, den Heiligen wahrzunehmen verloren haben. Wir haben alles, Gott mit eingeschlossen, weltlich gemacht, damit es für uns annehmbar wird. Die Herrlichkeit Gottes erscheint auf der Erde als eine sichtbare Herrlichkeit, bloß dann und denen, wann und welchen er erscheinen will. Dieser dreimal heilige Herr wird von Jesaja nicht irdisch gemacht, aber die Seraphim erzählen, dass Gott die Erde mit seiner Herrlichkeit beschenkt hat. Der Herr hat es selbst gemacht, dass die Erde Schauplatz seiner Herrlichkeit geworden ist (J. Calvin: Theatrum gloriae Dei). Es geht sogar so weit, dass Johannes bekennen kann: »wir haben seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes...« (Joh. 1, 14b). Und dann bekennen die himmlischen Gestalten neben dem Thron des Herrn: »Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt« (Offenbarung 4, 8b). Offensichtlich weiß auch Jesaja das, worüber das ganze Alte Testament Zeugnis ablegt: Dass der Herr der Heerscharen, der Gott seines Volkes dreimal heilig ist, aber ER hat jetzt keine Beziehung zu Juda, denn zwischen ihm und der »Erde« besteht eine Spannung. Dies wegen der Tatsache, dass ER heilig ist, das Volk aber »unreine Lippen« hat, also sündig ist. Mit dramatisch erhobener Stimme zählt der Prophet die Sünden auf, die leider auch für unsere heutige Gesellschaft von Bedeutung sind. Die Herrscher sind »Betrüger« (vgl. 3, 13), in ihren Häusern gibt es viel Gut, das dem armen Volk geraubt wurde (3, 15), die Fürsten lieben die Geschenke und die Bestechung (Jes. 1, 23, siehe auch Micha 7,3). Jesaja musste mit ansehen, wie König Ahaz heidnischen Kult ins Land brachte (2. Chronik 28, 1-14). Der Prophet verkündet auch, dass Juda geglaubt hat, das Wohlwollen Gottes durch die Menge der Opfer absichern zu können. ER aber hat von den mit »blutigen Händen« gebrachten Blutopfern widerstan-den (1, 10-15). Er kann den Dienst, die Liturgie, die keine Entsprechung im all-täglichen Leben hat, nicht gebrauchen. Der Herr hat die Ausrottung des Volkes Juda beschlossen, weil es »die Erde«, die der Herrlichkeit des Herrn voll war, verseucht hat. Die Herrlichkeit Gottes auf der Erde muss wieder hergestellt werden – und dies wird durch ein Gericht geschehen. Das muss der Prophet verkündigen.
II
Von der Beziehung zwischen dem Herrn und seinem Volk haben wir bereits gesagt, dass sie voller Spannungen ist. Dies gilt noch viel mehr für die Beziehung zwischen dem HERRN und Jesaja. Das Beben der Schwellen, der mit Rauch gefüllte Tempel, die Reinigung des Mundes mit glühender Kohle sind nur äußere Zeichen, die anzeigen, was in der sündigen menschlichen Existenz geschieht. Der Heilige trifft hier nicht nur auf das Profane, sondern auf die Sünde. Wo aber Hinsehen des Herrn der Heerscharen geschieht, muss das Sündige vernichtet werden (so Richter 6, 2, 13, 22). Diejenigen, die einen Dienst ausüben, berufene Diener und Ehrenamtliche, haben das Wissen vom Herrn und das Geschenk seiner Gnadengaben nötig. So oder so, ob einmal oder des Öfteren, müssen sie in ihrem Leben ihre eigene, von der Sünde herkommende Unfähigkeit erkennen. Diese »Begegnung« geschieht nicht immer sehr erlebnisreich, aber es muss irgendwie geschehen. Jesaja tut gar nichts, um aus der Tiefe der Unfähigkeit in die Höhe der angenommenen Berufung zu kommen. Alles geschieht außerhalb des Propheten: der Herr handelt, der dem Herrn dienende Seraph nimmt die Kohle vom Altar und rührt damit den Mund des Sünders an. Es kommt über den Propheten die heilige Ehrfurcht, die Anerkennung der eigenen Sünde. Dies ist die menschliche Seite, auf die der Herr antwortet. Außer diesen kann der berufene Knecht nichts machen, er kann nur warten darauf, was von oben kommt. Er muss aber glauben, dass dies geschieht: der Herr will selber die Sünde und Schuld der Propheten »bedecken« (das spezielle Wort für Versöhnung). Die ist keine »väterliche Verzeihung«, es ist das richterliche Zunichte machen (= aufheben des Gerichts). Nur danach kann die Berufung erfolgen. Der Herr fragt: wen sollen wir senden? Er zwingt niemanden, er erwartet, dass der Angesprochene selbst entscheidet: Hier bin ich, sende mich doch! Hier hat keine Ausrede mehr Platz, wie etwa noch bei Moses, Gideon oder Jeremia. Die Befähigung und Einsetzung zum Dienst ist geschehen, dies ist das Werk des Herrn, Und nun bleibt nichts anderes, als die gehorsame Annahme des Dienstes, die Bereitschaft zum Dienst.
III
Jesaja kann zu seinem Volk gehen, um das Urteil zu verkündigen. Der mit sündigen Lippen zu einem sündigen Volk redet, kann nur von Sünde sprechen: von Betrug, Wecken von Illusionen, letzten Endes von Lüge. Jetzt aber redet er »von der anderen Seite« zu seinem Volk, und dies ist die Wahrheit, auch wenn diese Wahrheit schmerzt, denn dies ist das Gericht. Wir sind die Diener des Herrn und haben bereits so oft gesagt, dass wir eins sind mit unserem Volk. Nicht nur in seinem Schmerz, Elend und in seiner Not, sondern auch in der Sünde sind wir eins mit unserem Volk. Wenn wir aber im Dienst handeln, wenn wir mit dem Wort des Herrn sozusagen »schwanger« sind, wenn wir von der Kanzel reden, wenn wir in pastoralen Gesprächen handeln oder wenn wir lehren, so müssen wir doch jene »andere Seite« repräsentieren. Dies geht natürlich leicht, wenn wir die gute Botschaft, das Evangelium, verkündigen dürfen. In solchen Situationen fühlen wir uns wohl auf der Kanzel und beim Unterricht. Aber der Prophet darf sich nicht nur »wohl fühlen«, sonder er muss auch den undankbaren und schweren Dienst annehmen. Es ist schwer, über die Verstockung zu reden. Juda hat sich jahrzehntelang als unfähig erwiesen, zu verstehen, aber nun schließt Gott selber den Weg auf, der zu ihm führt. Es bleibt ja, dass äußerliche Wahrnehmung stattfindet (»höret« in Vers 9), aber die Stimme erklingt nicht im Herzen, von wo aus die Antwort zu erwarten ist. Als ob der Herr plötzlich in einer unverständlichen Sprache und mit einer fremden Zunge zu seinem Volk sprechen würde (28, 11). Ja, dieses äußerliche Hören kann auch eine Wirkung haben, aber dies ist nicht das, was der Herr erwartet: keine Bekehrung und keine Heilung. Heutzutage wird in unseren Kirchen sehr entschieden betont, dass die Diener des Herrn mit ihrem Volk solidarisch sein müssen. Wir fürchten uns davor, einen anderen Ton anzuschlagen, als die Gemeinde ihn erwartet, weil wir befürchten, den Vorwurf zu bekommen, wir wären nicht konform mit der Gemeinde. Aber dieser Wille, den Wünschen der Gemeinde zu entsprechen, kann uns dazu verführen, dass wir die tatsächliche Situation leugnen, dass wir nur mit »Dämpfern«, wenn überhaupt, das Gericht zu verkündigen wagen. Die Verkündigung der Gnade bleibt aber ohne die Verkündigung des Gerichts leer, denn wer kein Sündenbewusstsein hat, spürt auch keine Notwendigkeit der Bekehrung und der Gnade. Es geht nicht darum, dass wir den Menschen mit der Hölle drohen, wie es die Sekten tun, auch nicht, dass wir angesichts großer Weltkatastrophen das Ende der Welt verkünden. Vielmehr geht es hier darum: wir müssen dem Zorn des Herrn ins Angesicht sehen und das ganze Volk soll einsehen, dass es wegen seiner Sünden und wegen begangener Schuld dem Tod ausgeliefert ist. Wie lange? Diese in den Klageliedern sehr oft vorkommende Frage (Psalm 4, 3; 13, 2; 89, 47) wird von Jesaja wiederholt. In diesem Kontext bedeutet dies: ist das Urteil denn endgültig? Die Antwort des Herrn ist ein kleines Zeichen, das jedoch große Hoffnungen gebiert: nach der Vernichtung und Ausrottung lässt der Herr einen Stumpf besehen, einen Spross (4,1), der zum heiligen Samen wird. Dies ist ein Versprechen, das in unseren Kirchen sichtbar wird, das unsere Augen auf den Heiligen richtet. Der Prophet muss über dieses Versprechen re-den: es kommt ein Spross aus Isais Wurzel (11, 1+2), es wird uns ein Kind geboren, das das Reich des Friedens mit sich bringen wird (9, 6+7; 11, 6-9). Heilig ist unser Herr, heilig ist der Herr Christus, heilig ist der Geist. Dieser einzige uns heilige Herr will seine Diener heiligen, dass durch sie alle zu Gottes heiligem Volk werden.